Fremd gehen
Ich bin fremd gegangen. Und das erst noch am Geburtstag meiner grossen Liebe. Wie es dazu kam und was davon blieb.
«Sextener Dolomiten – das Land der magischen Drei Zinnen». So verheissungsvoll präsentierte sich unser diesjähriger Sommerferienort auf seiner Website. Für einmal sollten es keine Wanderferien in der geliebten Heimat sein, sondern Familienplauschtage beim südlichen Nachbarn. Dolce far niente sozusagen, oder zumindest fast, denn die eine oder andere Kurzwanderung mit dem Töchterchen am Rücken durfte es dann bitte schon geben.
Die Ferienvorbereitung fiel diesmal rekordverdächtig kurz aus (darauf bin ich nicht stolz). Deswegen rechnete ich nicht damit, eine knackige Bergtour auf eigene Faust unternehmen zu können.
Der Supersommer war dann aber glücklicherweise auch im Südtirol zu Gast, weshalb sich diese Chance für einen abenteuerlichen «Seitensprung» dank zehn Sonnentagen am Stück bot, sogar ohne schlechtes Gewissen Mann und Kind gegenüber. Sie verbrachten den mamifreien Tag zur Erholung am Pool. Viel eher hätte mir meine rudimentäre Wanderausrüstung ein schlechtes Gewissen machen müssen: leichte Trekkingschuhe, kleiner Freizeitrucksack ohne Hüftgürtel, Faltprospektli statt Karte, keine Wanderstöcke, und das für eine über achtstündige Tour in unbekanntem felsigem Gelände… Ausgerechnet am Geburtstag meiner geliebten Schweiz und ihrer noch viel heisser geliebten Berge brach ich zur «Hüttenrunde» in den wilden Dolomiten auf.
Das Versprechen der Touristiker, bei der Dreizinnenhütte die schönste (und einzige frontale) Sicht auf die namensgebenden Zacken zu haben, hat mich im Aufstieg richtig beflügelt, so dass ich eine Stunde «unter Par» blieb, welche ich in einen ausgiebigen Panoramagenuss zu investieren gedachte.
Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuss: das emsige Treiben um die klobige, unansehnliche Hütte herum, der Lärm des dieselbetriebenen Generators und der Gestank von Altöl aus der Friteuse hielten mich nicht länger als für einen Fotohalt an diesem ansonsten wunderschönen Flecken Erde (merci an die Touristiker: Versprechen eingelöst!). Mein Pech, dass der Ort von der Südseite her mühelos per Auto und halbstündigem flachem Spaziergang zu erreichen ist…
Die Fortsetzung der Tour war dafür umso schöner und eindrücklicher. Durch eine weitläufige Geröllhalde mit faszinierender Alpenflora führte der bestens markierte Wanderweg zum nächsten Zwischenhalt, der Büllelejochhütte. Mit nur 13 Plätzen und aus Holz gebaut entsprach sie schon sehr meiner Idealvorstellung einer Unterkunft in den Bergen. Dort drängte sich noch die Besteigung eines leichten Gipfels auf: Die Oberbachernspitze bot ein einmaliges 360°-Panorama mit Ötztaler, Zillertaler und vielen andern …talern, Grossvenediger, Grossglockner, Marmarolegruppe und knapp vor den Augen gewaltig und groß: die «Sextner Sonnenuhr» mit Zwölfer, Elfer und Zehner.
Zum Dessert folgte der Abstieg zurück ins Tal via Zsigmondyhütte, baulich nicht speziell einladend, dafür von Familie Happacher mit viel Liebe geführt – das spürt man an jeder Ecke und auch im selbstgemachten Kräutersirup. Unfallfrei trotz amateurhafter Ausrüstung und mit vielen tollen Eindrücken kehrte ich zurück zur Familie, wo ich das Erlebte noch einmal Revue passieren liess.
Was bleibt mir von diesem Abenteuer in fremden Gefilden? Die Gewissheit, dass ich zur Wiederholungstäterin werde. Der Wunsch, eine Nacht in der Büllelejochhütte verbringen zu dürfen. Die Erkenntnis, dass die Wanderwege im Südtirol ebenso gut signalisiert und unterhalten sind wie in der Schweiz.
Dreizinnenhütte (Rifugio Antonio Locatelli)
Büllelejochhütte (Rifugio Pian di cengia)
Zsigmondyhütte (Rifugio Comici)
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