Auf Asphalt zu wandern, macht wenig Freude, denn die harte Oberfläche ist eintönig und setzt den Gelenken zu, obendrein strahlt sie im Sommer übermässig viel Wärme ab. Während früher Kühe und Sennen auf schmalen Wegen in die Höhe zogen, wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren etliche Alpen mit Fahrstrassen erschlossen. Manche dieser Pisten deckte man mit Schotter, andere asphaltierte man gleich.
Erst das 1985 in Kraft getretene Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege verpflichtete die Strassenbauer, für Wandernde eine ebenbürtige Alternative bereitzustellen. Doch noch immer gibt es in vielen Berg- und Talgebieten der Schweiz zahlreiche Wanderrouten, die auf Strassenabschnitten verlaufen. Damit sie befahrbar sind, wurden sie oft in weit ausholenden Serpentinen mit wenig Gefälle angelegt, was sie für das Wandern noch zusätzlich unattraktiv macht.
Alte Pfade
Auch zur Alp Grindel im Berner Oberland baute man 1970 eine Alpstrasse. Die Alp liegt am Sonnenhang des Rychenbachtals auf Boden der Gemeinde Schattenhalb. Mehrere Wanderrouten durchzogen das Alpgebiet, darunter die Verbindungen zwischen Gschwantenmad und Chrüteren / Bim Grindelschärm beziehungsweise Mettlen. Beide Routen verlegte man damals einfach auf die neue Strasse, während man die ursprünglichen Bergwege aufgab. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, sind die alten Pfade aus ihrem Dornröschenschlaf aufgeweckt worden.
Wie alles begann
Den Anstoss dafür gab ein runder Tisch, den der Gemeinderat Schattenhalb vor sieben Jahren organisierte. Die Bevölkerung wurde auf diese Weise eingeladen, Ideen und Verbesserungsvorschläge zur Zukunft der Gemeinde einzubringen. Verschiedene Anliegen kamen auf den Tisch – vom Wunsch nach günstigem Wohnraum bis zur Sanierung lädierter Strassen. Höchste Priorität erhielt jedoch ein anderes Thema, nämlich die Wanderwege: «Wir wollen ein gutes und attraktives Wanderangebot», lautete der Tenor.
In der Folge setzte die Gemeinde eine Arbeitsgruppe ein. Damit schlug die Stunde von Peter Huber. Der pensionierte Architekt aus Meiringen kümmert sich seit 2005 um die Wanderwege auf dem Gebiet der Gemeinden Meiringen, Schattenhalb und Brienzwiler. Als Bezirksleiter der Berner Wanderwege frischt er regelmässig die gelben und weiss-rot-weissen Markierungen auf, ersetzt beschädigte Wegweiser und nimmt zusammen mit Werkhofmitarbeitenden der Gemeinden Unterhaltsarbeiten an den Wegen vor.
Weg statt Strasse
In der Arbeitsgruppe Wanderwege legte Huber Vorschläge auf den Tisch, wie man alte, fast vergessene Alpwege im Gemeindegebiet reaktivieren könnte, um sie wieder als Wanderwege zu nutzen und dadurch die teilweise asphaltierten Alpstrassen zu umgehen. Seine Ideen stiessen auf Anklang. Darauf begann Huber sie in Form von Projektstudien zu konkretisieren.
Beispielhaft für sein Vorgehen sind die Wanderwegverlegungen an der Alp Grindel: Anhand alter Landeskarten rekonstruierte er die Verläufe früherer Alpwege. Durch Gespräche mit älteren Leuten aus der Gegend, die früher als Sennen auf den Alpen tätig waren, erhielt er zusätzliche Informationen. Danach machte er sich im Gelände auf die Suche. An manchen Stellen waren die alten Pfade noch gut sichtbar, andernorts waren sie von Bäumen überwachsen oder von Rutschungen verschüttet.
Bei einzelnen Abschnitten musste Huber mit detektivischem Spürsinn vorgehen. Im Wald beim Chrüterengraben etwa konnte er keinerlei Wegspuren mehr ausmachen. Doch nach eingehender Suche entdeckte er an einigen Baumstämmen uralte, stark ausgebleichte gelbe Markierungen – heureka, er hatte den früheren Wegverlauf wieder gefunden!
Lob für Aufwertung
Die ursprünglichen Pfade konnten mit wenig baulichem Aufwand und praktisch ohne Maschineneinsatz saniert werden. Für Wegbefestigungen wie hölzerne Treppenstufen im Wald oder für die Stabilisierung von Böschungen mit Steinen wurde ausschliesslich Material verwendet, das vor Ort verfügbar war. Deshalb konnte auf aufwendige Transporte verzichtet werden.
Die Aufwertung der Wanderwege an der Alp Grindel wurde mit dem diesjährigen Prix Rando der Schweizer Wanderwege ausgezeichnet. Die Gemeinde Schattenhalb erfährt dadurch eine Anerkennung ihres Engagements für ein qualitativ hochwertiges Wanderangebot. Für den Juryentscheid ausschlaggebend war die durch das Projekt ermöglichte Aufhebung von insgesamt 1,7 Kilometern Hartbelagsstrecke.
Weitere Projekte
Insgesamt vier Vorschläge von Peter Huber sind seit 2020 im Gebiet der Gemeinde Schattenhalb umgesetzt worden. Damit konnten total acht Kilometer Wanderwege von asphaltierten bzw. geschotterten Alpstrassen auf Naturbelag verlegt werden.
Das jüngste dieser Projekte ist zugleich das anspruchsvollste. Es betrifft einen Abschnitt der Via Alpina und damit eine Wanderland-Hauptroute. Zwischen Brigglesyten und Kaltenbrunnensäge verlief der Wanderweg bisher auf der Passstrasse über die Grosse Scheidegg. Die Wandernden waren damit auf einer Streckenlänge von fast einem Kilometer dem Auto-, Motorrad-, Bus- und Veloverkehr ausgesetzt. Derzeit wird ein neuer, eigens dem Wandern vorbehaltener Weg entlang des Rychenbachs gebaut. Er verläuft durch Waldpartien und über Felstreppen und ist vollumfänglich auf Naturbelag angelegt. Läuft alles nach Plan, dann wird der neue Wanderweg im Frühsommer 2025 eröffnet.
Gute Zusammenarbeit
Der Weg zur Umsetzung seiner Ideen sei lang gewesen, sagt Peter Huber im Rückblick. Umso mehr freue es ihn nun, dass die Aufwertung der Wanderwege in Schattenhalb geglückt sei. «Es ist schön, mit diesem Gemeinderat zusammenzuarbeiten», sagt er. Andernorts war er mit seinen Ideen weniger erfolgreich. Für verschiedene weitere Gemeinden im Berner Oberland arbeitete er ebenfalls Projektstudien zur Verlegung von Wanderwegen vom Asphalt auf Naturbelag aus. Einige davon konnten realisiert werden, doch mehrmals bekam Huber zu hören, solche Projekte seien zwar hübsch, man habe aber gerade andere Prioritäten.
Bevölkerung macht mit
«Tatsächlich haben sich nicht viele Gemeinden eine Wanderweg-Qualitätsoffensive auf die Fahnen geschrieben», sagt Christine Kehrli. Sie betreibt mit ihrem Mann im Rychenbachtal das Hotel Rosenlaui und ist im Gemeinderat Schattenhalb für das Ressort Bildung, Freizeit, Kultur und Tourismus zuständig; in dieser Funktion ist sie ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe Wanderwege. Für Peter Huber ist sie zu einer wichtigen Partnerin bei der Umsetzung seiner Projekte geworden. «Ich bin ein schlechter Verkäufer», räumt er ein. «Ihr hingegen ist es gelungen, die Bevölkerung für meine Ideen zu begeistern.»
Ein entscheidender Umstand dabei war wohl, dass viele Einheimische selbst wandern. «Der Wunsch nach einer besseren Qualität des Wanderwegangebots kam nicht von oben, sondern entwickelte sich an der Basis», sagt Christine Kehrli. Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern im Gemeinderat windet sie ein Kränzchen: «Sie haben keine teuren Berater eingekauft, sondern einfach mit den Leuten geredet und ihnen zugehört.»
Hilfe von Freiwilligen
Neben den von Peter Huber initiierten Wegverlegungen gibt es einen zweiten Faktor, der entscheidend zur qualitativen Verbesserung des Wanderwegnetzes in Schattenhalb beiträgt. Er geht auf eine Idee zurück, die ebenfalls in der Arbeitsgruppe Wanderwege entwickelt wurde. «In kleineren Gemeinden besteht oft ein Kapazitätsproblem», erklärt Peter Huber: «Dort sind eine oder zwei Personen im Werkhof tätig – die aber noch andere Aufgaben haben, als sich um die Wanderwege zu kümmern.» Der Wanderwegunterhalt werde deshalb notgedrungen oft vernachlässigt. In Schattenhalb wurde deshalb für zwölf Wanderwegabschnitte je ein Freiwilliger bzw. eine Freiwillige gesucht, der oder die sich den Sommer und Herbst hindurch um den Unterhalt des Wegs kümmert.
Etwa im Monatsturnus rücken diese «Heinzelmännchen», wie sie in der Gemeinde genannt werden, nun mit Fadenschneider und Pickel aus, um schadhafte Stellen auszubessern. Das Freiwilligenteam umfasste anfänglich ausschliesslich Männer, mittlerweile gehören ihm auch mehrere Frauen an. Auf die Frage, ob es nicht anspruchsvoll sei, genügend Leute für ein solches ehrenamtliches Engagement zu finden, antwortet Christine Kehrli kurz und bündig: «Wir haben eine Warteliste.»
Nachmittagsrunde an der Alp Grindel
Diese einfache Rundwanderung im Rychenbachtal führt zwar zu keinem klassischen Gipfelziel, bietet aber dennoch eine grossartige Aussicht zur spektakulären Gipfelarena der Rosenlaui. Die Tour verläuft auf der Sonnenseite des Tals. 1970 wurde dort die Alp Grindel mit einer Strasse erschlossen, die lange Serpentinen aufweist und teilweise auch asphaltiert ist – ideal für Fahrzeuge, weniger attraktiv für Wanderinnen und Wanderer. Die früheren Fusswege im Alpgebiet gerieten schon bald in Vergessenheit. Nach 2020 kam es aber glücklicherweise zu einem Umschwung. In der Gemeinde Schattenhalb, auf deren Grund die Alp liegt, erinnerte man sich an die alten Pfade, legte sie frei und erklärte sie wieder zu Wanderwegen. Seither kann man an der Alp Grindel schöne historische Wege nutzen, die sich harmonisch ins Gelände fügen und sich kurvenreich in die Höhe ziehen. Statt auf hartem Asphalt oder monotonem Schotter wandert man nun über blumenreiches Weideland und wurzeldurchzogenen Waldboden. Dieses Projekt zur Verbesserung der Wanderwege wurde 2024 mit dem Prix Rando ausgezeichnet. Von der Postautohaltestelle im Talgrund geht es zunächst sanft aufsteigend zum Rufeneschärm-Schutzhüttchen, dann auf zusehends steiler werdendem Pfad über Alpweiden und durch Wald nach Mettlen. Noch vor der Alphütte schwenkt man in den Wanderweg ein, der in Richtung Chrüteren signalisiert ist. Er führt in stetem Wechsel von leichten Auf- und Abstiegen als Höhenweg talauswärts. Die Schlüsselstelle der Tour ist der Chrüterengraben. Das Bachbett ist mit grossen Steinen durchsetzt; einen eigentlichen Weg hinüber gibt es nicht, dafür steht eine quer über den Graben gespannte Metallkette als Haltemöglichkeit zur Verfügung. Wenig später gelangt man im Gebiet Untere Chrüteren an einer weiteren Alphütte vorbei, danach senkt sich der Weg talwärts. Im Abstieg via Schwendeli geniesst man grossartige Ausblicke zur scharf gezackten Silhouette der Engelhörner auf der gegenüberliegenden Talseite.