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Portraits

«Die Leute hielten mich für völlig verrückt!»

Vor 25 Jahren lancierte Stefan Moser oberhalb von Savognin einen der schweizweit ersten Trails für Schneeschuhwanderungen. An einem sonnigen Tag auf der Königsroute, mit Blick auf den markanten Piz Mitgel, erzählt er, wie es dazu gekommen ist.
29.11.2024 • Text: Patricia Michaud, Bilder: Markus Ruff
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Zur Person

Stefan Moser ist in Savognin geboren und in einer rätoromanischen Familie aufgewachsen. Er ist Mitgründer eines Sportgeschäfts und legte vor 25 Jahren einen der schweizweit ersten Schneeschuhwanderwege an. Seit rund 20 Jahren ist der Vater von drei Kindern und passionierte Jäger auch regelmässig als Wanderleiter tätig.

Was für ein Luxus: zu einer Schneeschuhwanderung in Graubünden aufzubrechen mit nichts als einem Rucksack! Am Vortag hat Stefan Moser am Telefon darauf bestanden, uns vor Ort von Kopf bis Fuss auszurüsten. Und tatsächlich, als Fotograf Markus Ruff und ich an diesem Morgen auf unseren Gesprächspartner vor dessen Sportgeschäft im unteren Dorfteil von Savognin treffen, stehen draussen schon je zwei Paar brandneue Schneeschuhe und Stöcke für uns bereit – bestens bewacht von einem imposanten Jagdhund. «Ohne Aramis gehe ich nirgendwohin», verkündet der sympathische Händler und Wanderleiter in seinen Fünfzigern und begrüsst uns mit einem energischen Händedruck. Mit sechs Schneeschuhen, sechs Stöcken und vier Pfoten stapft unsere kleine Gruppe eine halbe Stunde später die «Königsroute» hinauf, einen der ersten Schneeschuhtrails der Schweiz, angelegt vor einem Vierteljahrhundert von Stefan Moser.

Stefan Moser, wie haben vor 25 Jahren die Leute in der Gegend reagiert, als Sie Ihr Projekt für einen Schneeschuhwanderweg mit Start in Salouf angekündigt haben?

Viele hielten mich für völlig verrückt! (lacht) Sie glaubten, dass ein solches Angebot nie Anklang finden würde, vor allem nicht hier im Val Surses, wo traditionell Ski und Snowboard dominieren. Doch es kam ganz anders: Nur wenige Jahre danach wurden Schneeschuhe zu einem echten Trend und es gab immer mehr entsprechend markierte Wege, ob bei uns im Kanton oder anderswo im Land.

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Als Stefan Moser einen der ersten Schneeschuhpfade des Landes anlegte, war die Signalisation weder pink noch einheitlich.

Was brachte Sie damals auf diese «verrückte» Idee?

Ein Freund, der in Kanada lebt, erzählte mir von Schneeschuhtrails. Mir war in Savognin bereits aufgefallen, dass immer mehr Touristen weder Ski noch Snowboard fuhren, und ich wollte ihnen eine Alternative bieten. Zudem hatte ich als Inhaber eines Sportgeschäfts natürlich ein Interesse daran, Wintersportartikel zu vermieten. Beides liess sich, wie ich fand, durch einen Schneeschuhwanderweg hier im Tal ideal verbinden.

Und wie setzten Sie Ihr Vorhaben in die Tat um?

Als Erstes gelang es mir, ein paar Leute aus der Tourismusbranche für das Projekt zu gewinnen. In der Folge legten wir gemeinsam die Route fest, die insbesondere drei Kriterien erfüllen sollte: anspruchsvoll genug, um eine sportliche Herausforderung zu bieten, schneesicher bis in den Frühling hinein und mit einem atemberaubenden Aussichtspunkt. Von einem Schneeschuhhersteller erhielten wir Plaketten mit dem Aufdruck der Marke, die wir an Holzpfosten nagelten – und damit war die Königsroute geboren! Ihr Verlauf wurde später noch angepasst und die Markierung durch eine pinke Signalisation ersetzt.

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Stefan Mosers Hund Aramis ist ein treuer Wanderbegleiter und hat auch nichts gegen die Journalistin einzuwenden.

Ausprobieren und verbessern: Das ist in etwa die Philosophie von Stefan Moser. Der gebürtige Savogniner, der seine Heimatregion nur vorübergehend verliess, um eine Schreinerlehre und eine Handelsausbildung zu machen, gehört offensichtlich zu derjenigen Sorte von Menschen, die lieber einfach mal loslegen, als gar nichts zu tun. Viele seiner Ideen fliessen auch in die Tätigkeit als Wanderleiter ein, der er neben der Führung seines Sportgeschäfts seit rund 20 Jahren nachgeht.

Seine Erfahrung als Wanderleiter macht sich auf unserer Tour denn auch schnell bemerkbar: Während des angenehmen Aufstiegs durch den Wald in Richtung des Weilers Munter hält Moser immer wieder inne, um uns auf Besonderheiten in der Natur aufmerksam zu machen. So lernen wir zum Beispiel, dass Eichhörnchen gerne Pilze zum Trocknen in die Sonne legen, bevor sie sie als Vorrat für den Winter in ihre Verstecke bringen. Später zeichnet unser Begleiter mit einem Stock das faszinierende Kommunikationssystem in den Schnee, über das die Bäume miteinander vernetzt sind. Und schliesslich weist er auf kleine braune Haufen hin, die sich auf dem verschneiten Untergrund deutlich abheben, und erklärt, dass es sich dabei um – noch ziemlich frischen – Wolfskot handelt.

Gestern Abend hörte ich von meinem Hotelzimmer in Savognin aus, die Wölfe heulen. Sind Sie auf einer Wanderung schon einmal einem Wolf begegnet?

Auf einer Wanderung nicht, aber vor einigen Jahren in der Nähe der Berghütte eines Freundes. Ich verbrachte den Abend dort und ging nach draussen, um Luft zu schnappen. Plötzlich blitzten im Strahl meiner Stirnlampe zwei Augenpaare auf, nur ein paar Dutzend Meter entfernt. Hirsche, das war mir als Jäger sofort klar, waren das nicht – die hätten sich längst aus dem Staub gemacht. Ich nahm die Lampe ab und konnte im Halbdunkel erkennen, dass es zwei Wölfe waren, die ruhig dasassen und mich musterten. Da war es dann an mir, mich aus dem Staub zu machen und den Rückzug in die Hütte anzutreten. (lacht)

Sie gehen seit 30 Jahren auf die Jagd. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrer Natur- und Tierliebe?

Im Gegenteil. Ich finde, es gibt nichts Respektvolleres gegenüber den Tieren, die man isst, als die Jagd. Mich erstaunt immer wieder, wie viele Leute Fleisch konsumieren, dessen Herkunft sie nicht genau kennen. Ich bezeichne mich als «Jägetarier»: Ich esse fast ausschliesslich Fleisch von Tieren, die ich selbst auf möglichst ethische Weise erlegt habe, und geniesse jedes Stück davon ganz bewusst. Man darf auch nicht vergessen, dass die Jagd in der Schweiz streng geregelt ist. Die Hirsche in der Gegend wissen das übrigens genau: Oft äsen sie genau an der Grenze des Jagdbanngebiets, als ob sie uns foppen wollten.

Nach der Überquerung eines offenen Schneefelds erreichen wir Munter, den höchsten Punkt der Königsroute. Stefan Moser hat nicht gelogen: Vom Weiler aus bietet sich ein prächtiger Ausblick auf den markanten Gipfel des 3158 Meter hohen Piz Mitgel. Unser heutiger Wanderleiter macht es sich vor einem der stilvoll renovierten Chalets – offenbar ist niemand zu Hause – in der Sonne bequem, gibt seinem treuen Gefährten Aramis zu trinken und holt aus seinem Rucksack Spezialitäten aus dem Val Surses hervor. Ich nutze die Gelegenheit und komme noch einmal auf unser eigentliches Thema zu sprechen.

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Im Winter wirkt der Weiler Munter wie ausgestorben. Ideal für einen längeren Halt mit Blick auf den Piz Mitgel.

Wie hat sich das Schneeschuhwandern in letzter Zeit verändert?

Waren es vor 20 Jahren noch vor allem Senioren und Seniorinnen auf der Suche nach einer moderaten körperlichen Betätigung, die daran Gefallen fanden, sind mittlerweile Leute aus allen Teilen der Gesellschaft, auch Junge und sportlich Ambitionierte, auf Schneeschuhen unterwegs. Die Hersteller haben auf den Trend reagiert und entwickeln ihre Produkte ständig weiter. Nicht zuletzt für Personen mit Migrationshintergrund, von denen viele nicht Ski fahren, ist das Schneeschuhwandern eine ideale Alternative, um den Schnee und die Berge erleben zu können. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich diese Freizeitaktivität in unseren Breitengraden fest etabliert hat, zumal sie auch zum gestiegenen Bewusstsein für Umweltbelange passt.

Für Sie als Inhaber eines Sportgeschäfts ist das eine ziemlich erfreuliche Entwicklung, oder?

Ja und nein. Nach einem explosionsartigen Anstieg bei den Verkäufen von Schneeschuhen, der vor etwa fünf bis zehn Jahren seinen Höhepunkt erreichte, haben sich die Zahlen seither stabilisiert. Ein Grund dafür ist, dass Schneeschuhe im Schnitt nur alle zehn Jahre ersetzt werden, während das bei den Skis in der Regel etwa nach fünf Jahren der Fall ist. Das ist nicht allzu schlimm für den Handel, aber gut für den Planeten. Und es treibt mich an, weiter kreativ zu bleiben, indem ich zum Beispiel aussergewöhnliche Schneeschuhtouren anbiete. Spezialisiert habe ich mich insbesondere auf Nachtwanderungen, etwa bei Vollmond. Das hat zugleich den Vorteil, dass ich in der Hochsaison tagsüber im Laden sein kann.

Schneeschuhtrail oberhalb von Salouf
Salouf, scola • GR

Schneeschuhtrail oberhalb von Salouf

Einen prächtigen Ausblick auf den Piz Mitgel, Schnee bis im Frühling und die Garantie, sich das Stück Nusstorte danach redlich verdient zu haben: Die vor einem Vierteljahrhundert angelegte «Königsroute» hat einiges zu bieten. Die anspruchsvolle, rund fünfstündige Wanderung führt über einen der ersten Schneeschuhtrails der Schweiz. Die Idee dazu, die damals viele für «völlig verrückt» hielten, hatte Stefan Moser, Kind der Region und Fan jeglicher Schneesportarten. Er wollte – inspiriert von einem Freund aus Kanada – diese im Vergleich zum Pistenskifahren sanftere und nachhaltigere Aktivität auch hierzulande populärer machen. Mittlerweile sind viele Schweizerinnen und Schweizer gern auf Schneeschuhen unterwegs – auch auf der Königsroute, deren Verlauf seit ihrer Eröffnung leicht angepasst wurde. Der markierte Schneeschuhwanderweg startet bei der Bushaltestelle «Salouf, scola». Nach wenigen Gehminuten beginnt ein angenehmer und regelmässiger Aufstieg, zuerst durch den Wald und danach einige Hundert Meter an dessen Rand entlang. Etwas unterhalb von Munter lässt man die Bäume endgültig hinter sich zurück und nimmt das letzte Stück hinauf zum schmucken Weiler in Angriff. Dessen sonnige Lage und der Blick auf den markanten Piz Mitgel machen ihn zum idealen Ort für ein Picknick. Zurück ins Tal geht es zunächst wieder dem Waldrand entlang und anschliessend über einen Forstweg und einen letzten, kurzen Aufstieg bis zum Dörfchen Del. Den Abschluss bildet der Weg hinunter zurück zur Bushaltestelle in Salouf.

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