Portraits
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«Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft»
Sie wollen im Beruf hoch hinaus – und auch beim Wandern: Auf dem Weg zur Solothurner Bürenflue lernen Basler Expats aus aller Welt die Eigenheiten des Wanderns in der Schweiz kennen.
24.05.2024 • Autorin: Elsbeth Flüeler, Bilder: Sam Buchli
Ein erster leichter Anstieg von Lupsingen zum Chleckeberg. Hanspeter (rechts) führt die Gruppe an, Anthony hält topmotiviert mit.
«Hiking is a religion for Swiss people», sagt Anthony. Eine Religion sei das Wandern in der Schweiz. Seit fast drei Jahren lebt und arbeitet der Kalifornier in Basel. Doch, ist er überzeugt, wer hier Land und Leute wirklich kennenlernen will, muss wandern. Und gewandert ist er schon etliche Male. Nun probiert er es mit der Wanderung für Expats, organisiert von den Wanderwege beider Basel. Es sei seine erste geführte Wanderung, verkündet er stolz.
14 zu 11
25 Personen sind an diesem Samstag Mitte April der Ausschreibung gefolgt – eine grosse Gruppe. Hanspeter, der die Wanderung leitet, hat darum Verstärkung mitgebracht: Ger und Thomas sind seine assistierenden Guides.
Mit 14 Personen sind die Expats gegenüber den Baslerinnen und Baslern etwas in der Mehrzahl. Unter dem Begriff Expat versteht man hochqualifizierte Leute aus dem Ausland, die hier arbeiten und leben. «Wobei», klärt Ger mit holländischem Akzent, «Expats sind das ja nicht wirklich. Ihre Zügelkisten haben sie bestimmt selbst gepackt.» Ger spielt auf die Tatsache an, dass einige internationale Arbeitskräfte von ihren Firmen auf Händen getragen werden. Bei dieser Wandertruppe handle es sich aber um bodenständige Leute, die sich auch gerne integrieren. Wie er selbst. Seit fast 30 Jahren lebt Ger mit seiner Familie in Basel. «Mein Herz schlägt nicht für die Schweizer Nationalmannschaft, aber ich leide im Moment mit dem FCB mit.»
Aus Basel stammen dagegen elf Teilnehmende, auch sie – wie die Expats – mit erfolgreicher beruflicher Karriere. «Wir lieben diesen Mix: Leute aus allen Teilen der Welt, Junge und Alte, Männer und Frauen», verraten Peter und Isabelle.
Inklusive Fotograf und Autorin macht das 30 Personen, die sich nun, nach kurzer Fahrt ab Basel mit Bahn und Bus, um den Brunnen auf dem Lupsinger Dorfplatz scharen und aufschrecken, wie Hanspeters Pfeife schrillt. Nach einer kurzen Begrüssung stellt er klar: «English is the official language today.» Auf dieser Wanderung würde Englisch gesprochen, und so führt er auf Englisch in die Umgebung ein, ganz nach dem Grundsatz «luege, lose, laufe», mit dem sich bekanntlich jedes Schweizer Kind in der Öffentlichkeit zu bewegen lernt.
Gute Erfahrungen weitertragen
Es ist die elfte Expats-Wanderung, die Hanspeter leitet. 2021, mitten in der Coronazeit, hat er sich auf ein Inserat der Wanderwege beider Basel gemeldet. Der Vorstand suchte Freiwillige, auch Wanderleitende. Im Gespräch kam die Idee der Wanderung in Englisch für Expats auf. Denn was wäre der Wirtschafts- und Forschungsstandort Basel ohne diese Leute! Und Hanspeter fing Feuer: Wie hilfreich Outdooraktivitäten für die Integration sind, hat er vor Jahrzehnten während seines Post-Doc-Aufenthalts in Kalifornien selbst erlebt. Er und seine Frau hatten sich damals dem Sierra Club, der ältesten und grössten Naturschutzorganisation der Vereinigten Staaten, angeschlossen. Diese Erfahrung wollte er gerne an die Expats weitergeben.
2022 startete Hanspeter mit vier Wanderungen. 2023 waren es fünf, und fünf sind es auch dieses Jahr. Denn inzwischen hat sich Hanspeter mit seinen Touren eine Stammkundschaft geschaffen.
Lupsinger Geschichten
Dieser vermittelt Hanspeter gerade eine Portion Hintergrundwissen: Lupsingen, das Dorf auf 431 Meter ü. M., 1520 Einwohnerinnen und Einwohner heute, um die 360 Personen vor 60 Jahren, Lupsingen als regionales Zentrum mit dem Dorfplatz, der auch Aeschenplatz von Lupsingen genannt werde. Dies weil hier, wie auf dem Basler Aeschenplatz, Hauptverkehrsachsen zusammentreffen würden, nämlich die Strassen aus dem Oristal, von Ziefen, Seltisberg und Büren SO.
Eine Dreiviertelstunde später, auf der Schneematt, entzückt Hanspeter mit der Geschichte der Roseli Fankhauser, die hier in einem Häuschen ohne Strom bis zu ihrem Tod 1994 lebte. Auf der Schneematt feiere Lupsingen alle zwei Jahre auch den Abschluss des Banntags, der traditionellen Begehung der Grenze. «What kind of party?» Was für eine Party das denn sei, will Silvia aus Portugal wissen. Und Jerzy aus Polen, der zum ersten Mal dabei ist, stellt später eher fragend fest: «Das war bestimmt das letzte Haus in der ganzen Schweiz, das nicht elektrifiziert war.» Als begnadeter Naturbeobachter ist ihm auf seinen einsamen Wanderungen rund um Basel schon viel Wild, ja sogar ein Luchs über den Weg gelaufen. Aber ein Haus ohne Strom und das in der Schweiz, das wundert ihn doch sehr.
Solcher Geschichten wegen lieben die Expats die Wanderungen mit Hanspeter. Und wenn sie tagsüber von morgens früh bis abends spät als «Head of …» und «Chief of …» in verantwortungsvoller Stellung arbeiten, so wollen sie auf dieser Wanderung geniessen. «Es ist so was von entspannt», sagt Charlotte, die Eventmanagerin, und lässt durchblicken, dass sie grosse Kongresse organisiert. Sie ist nicht die Einzige, die Hanspeter dankbar ist, dass er seine Wanderungen jeweils erst gegen zehn Uhr startet und diese, mit kurzer Anreise, in der Region Nordwestschweiz durchführt. Das sei ganz «extraordinary», genauso wie das Wanderwegnetz, sind sich die Expats einig.
Wandern weltweit
Und ganz nebenbei erfährt man, wie international die Wandererfahrungen in dieser Gruppe sind. Gemäss der Kanadierin Alexandra führt die Schweiz die Rangliste der wandernden Nationen an – oder ist das Urteil vielleicht der Höflichkeit gegenüber dem Gastland geschuldet? Gefolgt wird die Liste von Schweden – «ein wunderbares Wanderland» – und Schottland, «wo man fantastische Trecks machen kann». Das bestätigt auch Joe, der vielgereiste Basler, und empfiehlt den West Highland Way. «Und toll wandern kann man auch in Kanada», sagt Alexandra. Aber das sei nicht vergleichbar, weil doch die Distanzen von einem Ort zum anderen ganz andere wären als hier in der Schweiz. Nur schon die Reise zum Ausgangspunkt dauere Stunden.
Die Wurst und die Schweiz
Inzwischen ist die Feuerstelle im Löhr erreicht. Mittagsrast. Hanspeter entfacht gekonnt ein Feuer. «It’s my first barbecue on a hike», sagt Anthony. Es sei das erste Mal, dass er auf einer Wanderung eine Wurst über dem offenen Feuer «bräteln» würde. Auch schon hatte er beobachtet, wie Familie Schweizer Würste auf den Grill legte. Und dies gerne in den alten Gemäuern der Burgruinen rund um Basel. Gleich zwei Dinge, die man hier gerne tut, kann Anthony heute von seiner «bucket list» streichen.
«Hanspeter trägt immer Holz mit sich», schwärmen Petra aus Deutschland und Ana aus Katalonien. Sie haben sich auf einer der ersten Expats-Wanderungen von Hanspeter kennengelernt. Seither sind sie dabei. Die anderen Wanderungen aus dem Programm der Wanderwege beider Basel hingegen unternehmen sie auf eigene Faust. «Mit dem QR-Code ist das ganz einfach», sagt Petra, die, stellt sich heraus, auch Christoph aus Nyon auf die Expats-Wanderungen aufmerksam gemacht hat. «Wir sind», sagt die Britin Deirdre, die auch schon so oft mit dabei war, «eine Schicksalsgemeinschaft.»
Auf dem Gipfel
Der Nachmittag ist ganz der Wanderung auf dem Gempenplateau zur Bürenflue, dem höchsten Punkt der Wanderung, gewidmet. Man geht zügig, unterhält sich, staunt über die Aussicht auf die Alpen und strebt dem Ziel der Wanderung zu.
Auf die Minute genau trifft Hanspeter mit seiner grossen Wandergruppe in Gempen bei der Busstation ein. Im Restaurant gegenüber des Dornacher Bahnhofs ist er dann rundum zufrieden mit dem Tag. Wieder einmal konnte er die Expats für das Wandern und die Umgebung von Basel begeistern und, wer weiss, auch die Schicksalsgesellschaft erweitern? Auf der Reise im Zug nach Basel tauschen Jerzy und Anthony ihre Kontaktdaten aus.